27/08/2024
Zum ersten Mal mit einer neuen Mannschaft auf einer J70 in Berlin – von Anaïs Wienen –
Phase 1 : Das Forming
Um 13:00 Uhr begann in Berlin unser Trainingsblock. Zum ersten Mal sollten wir vier, Sofie, Cati, Robert und ich, gemeinsam auf ein einziges Boot, die J70, steigen. Für mich als Einhandseglerin war es der allererste Segelgang mit der J70. Unser neu gegründetes Team begann seine Zusammenarbeit.
Geduldig erklärten mir Sofie und Cati wieder und wieder mit Engelszungen die Technik des Bootes und meinen Aufgabenbereich. Sofie war Schiffsführerin, steuerte und hielt die letzten Entscheidungen in der Hand. Cati war für den „Genni“ zuständig, das Gewichtsmanagement der Crew und die Kommandoweitergabe nach vorne. Sie war wie ein kleines Genie, das für alle und alles einsprang, das nicht so schnurrte wie es vielleicht sollte. Robert saß auf dem Vorschiff. Und ich durfte die Fock fahren und die Taktik schmieden, meine Vorschläge vortragen und der Umsetzung entgegenfiebern. Erste Konflikte wurden strategisch vermieden. Nach zweieinhalb Stunden auf dem Wasser, einem Crashkurs J70 mit viel Input, ließen wir den lauen Sommerabend in Berlin ausklingen.
Phase 2 : Storming
Aufgrund von Windmangel wurde am Samstag nicht gesegelt. Der Berliner Yacht Club hatte eine sehr schöne Loungelandschaft aufgebaut, uns mit Mittagessen versorgt und Getränke auf den Tisch gestellt. Nach Verschieben der Wettfahrten auf den nächsten Tag wurde der Grill angeschmissen und die Musik aufgedreht. Am Sonntag war zu nächst wieder kein Wind. Das Wartespiel an Land ging weiter, wobei eine kleine Morgenrunde Schlaf den meisten zugutekam. Gegen Mittag versuchte es der Wettfahrtleiter nun doch noch mit dem Segeln. Wir waren im ersten Fleet auch das erste Rennen, legten mutig ab und fuhren zielsicher zum Start. Als Taktikerin schlug ich natürlich vor, auf die rechte Seite zu fahren, da wir eine nur sehr kurze Kreuz vor uns hatten, denn als Taktikerin wusste ich, dass jeder Meter, der weiter nach links gesetzt wird, strategisch gut begründen werden muss, und das liegt außerhalb des Aufgabenbereichs der Taktik. Der Plan war, rechts zu starten und mit einem langen Backbordschlag in Luv vom Feld zu sein. Da der Plan jetzt stand, musste nur noch die Umsetzung folgen. Den ersten Start brachte der Wettfahrtleiter nicht übers Herz. Wir nutzen den Abbruch als Übung. Denn das Gute an einem noch uneingespielten Team ist die Bandbreite der Optimierungsaspekte. Endlich wurde gestartet. Die Schiffe in Luv fuhren die Linie runter, auf uns zu. Unser Leeschiff fuhr an, schrie Raum. Ich zählte runter. 15, 14, 13… Der Überblick verschwand. Die Boote entschwanden uns. Statt auf Höhe zu fahren, entschieden wir uns für Geschwindigkeit. Wir waren in Lee des Feldes. Kurz darauf fuhr das Feld nach rechts. Wir standen vor der Entscheidung, entweder passiv mit dem Feld mit zu fahren, den Kontakt zum Feld zu halten, auf die Hoffnung, einen Rechtsdreher abzupassen und dann wieder im Mittelfeld anzukommen, oder das Risiko einzugehen, einen Hebel über die linke Seite zu setzten und aufzuholen. Friss oder Stirb. Das Storming begann zu entbrennen, aber die Schiffsführung hat das letzte Wort. Unseren Plan, nach rechts rauszufahren, warfen wir über Bord und fuhren alleine nach links. Sofie gab das Kommando zur Wende, als wir auf der Steuerbord-Layline waren. Wir hatten erst richtig gehandelt, der Wind stand leicht links, was es uns ermöglichte, spitz auf das Feld zu fahren, das inzwischen auf Backbord war. Der Wind kippte. Wir fuhren nicht mehr auf der Layline. Das gesamte Feld passierte uns. Auch hier stießen wir als Team auf neue Herausforderungen der Kommunikation. Vier Augenpaare, die sich auf Unterschiedliches richten, vier Köpfe, die eigenständig denken und mehr als nur eine dominante Person an Bord brauchen einen Moment, um zu harmonieren. Das über trägt sich auch auf die Manöver. Wir mussten die Dimensionen der J70 erst noch kennenlernen, ihre Vorteile und ihre Grenzen. Auch ich brauchte einen Moment, mich vom ILCA6 auf die J70 einzustellen, mit der jede Wende deutlich größere Verluste auf sich nimmt. Aus diesem
Grund entschieden wir uns dagegen, das Feld zu unterwenden, um eben eine Wende zu sparen. Doch leider waren wir etwas hektisch. Wir fuhren die Wende auf die Layline zu früh und mussten somit die eingesparte Wende nun doch fahren. Das ärgerte uns. Aber es ging auch schon weiter. Dem Schiff 4 gelang es, durch ein Gybe Set, also einer direkten Halse nach der Tonne, von Platz 3 auf Platz 1 vor zu fahren. Der Wind stand etwas weiter rechts. Wir wollten also auch ein Gybe Set fahren. Leider hatten wir im Training nicht die Zeit gehabt, unser Gybe Set zu perfektionieren, und so kam es, dass wir eine kleine Verhedderung der Leinen herbeiführten. Cati wusste, was zu machen war, hatte Plan von der Sache und gab die Anweisungen. Nachdem der Knoten gelöst war, fuhren wir runter. Der wilde Vorwind kam zum Ende, und es folgte sogleich eine aktionistische Tonnenumrundung. Die Jury fing an zu pfeifen. Sofie schoss dazwischen. „Der Pole“. Cati reagierte. Der Pole war noch nicht vollständig reingeholt. Es war meine Aufgabe, die Leine, die den Pole draußen hielt, zu lösen. Das Schöne, wenn man endlich mit mehreren Menschen zusammensegelt, ist, dass man nicht mehr alleine für seine Fehler verantwortlich ist und es mag sein, dass das hier zum Vorteil wurde. Es kam zu ersten Problemen in der Zusammenarbeit. Aber nachdem wir also verhinderten, einen Kringel fahren zu müssen, ging es ans Eingemachte. Endlich fuhren wir rechts. Und wir machten viele Meter gut. Wir beschlossen gemeinsam, nicht zu Halsen nach der Tonne. Ich sah, dass ein Schiff Meter zu den Ersten verloren hatte. Als Cati und Robert fertig waren, den Gennaker rauszufahren – auch diese beiden mussten sich ihren Problemen stellen – übernahm ich das Kommando: „Gut, wir greifen die jetzt aggressiv taktisch an. Sofie, wir fahren nach Luv und decken die ab.” Gesagt getan, wir überholten. Wir waren vorletztes Schiff im Ziel. An Land führten wir ein kritisches Gespräch beim Mittagessen. Und ich glaube, wir waren ein mustergültiges Beispiel der zweiten Phase der Gruppenformation, die des Storming. Wir waren sehr direkt und zeigten uns gegenseitig, wer hier das Sagen hatte. Danach verbrachten wir unsere Wartezeit nicht, wie die Tage zuvor, zusammen, sondern im Wechsel mal jeder für sich, mal zu zweit, dann doch gemeinsam.
Phase 3 : Norming
Wir waren wieder dran. Fliegender Wechsel der Crews ist übrigens wirklich wörtlich zu nehmen. Wir standen auf dem Steg der Wechselzone, winkten dem Schiff zu, das wir bekommen sollten. Dieses steuerte auf den Steg zu, drehte uns die Steuerbordseite zu, fuhr fröhlich weiter und wer drauf sprang, war drauf, wer nicht, eben nicht. Der Wind hatte sich schön aufgebaut. Unser Timing zur Linie war deutlich besser. Wir fuhren bei 1:20 eine Halse, orientierten uns ans Startschiff, fuhren eine Wende, machten die Fock auf und fuhren an. Wir waren auf der rechten Startseite. Wir setzten eine Wende auf die rechte Seite. Unsere erste Kreuz war stabil. Wir waren uns einig, uns auf dem Vorwind rechts zu halten. Unsere Gate-Tonnenumrundung war schnell. Dieses Mal war es Sofie, die den Kontakt zum Feld suchte, was mich sehr erfreute. Wir setzten eine Wende auf die rechte Seite an, Cati hatte das Kommando in der Wende. Wir hatten uns eingespielt, unsere Konflikte langsam überwunden und Normen für eine effektive Zusammenarbeit entwickelt. Wir hatten auf die Layline gewendet, ein anderes Team war knapp vor uns gekommen und wendete auf uns drauf, hatte aber ein paar Meter verloren und war somit leicht nach hinten versetzt. Wir hätten es nur mit Knüppeln um die Tonne geschafft. Da schlug Robert plötzlich vor: „Wir machen das wie Flori, Fock rein und Aufschießer.“ Und Sofie schrie: „Fock rein.“ Und ich zog und zog die Fock rein. Dann stand Cati auf: „Krängung?!“ Und schrie: „Luvkränung!“ Wir schmissen uns zu viert auf die Steuerbordseite. Das Schiff in uns beschwerte sich. „Weiter, weiter!“, hörte ich mich rufen. Wir hatten leider keine Fahrt mehr im Schiff, aber wir schafften es, ohne Tonnenberührung rumzukommen. Das Luvschiff holte uns ein. Sofie mit dem Kommando in der Hand holte Schwung und ordnete den Gennaker an. Robert und Cati bauten auf, Cati dirigierte uns über den Kurs. Wir fuhren eine Halse. Auch hier hatten wir uns gefunden. Das Manöver kam aber zu früh. Wir fuhren in den Abwinden der andern herum. Wir verloren ein weiteres Schiff und waren Letzter im Ziel. Trotzdem war dieses Rennen besser als das davor. Wir hatten die Fehler des ersten Rennens behoben und waren in neuen Situationen gelandet. Wir hatten viele kleine Fehler angesammelt und waren damit letzte geworden, aber unsere Lernkurve stieg an.
Phase 4: Performing
Auf das dritte Rennen bin ich unfassbar stolz. Wir haben es geschafft, die ersten beiden Rennen zur Seite zu legen und neu anzufangen. Außerdem war der Ehrgeiz da, eine kleine persönliche Motivation. In der SBahn in Berlin hatten wir uns unsere Ziele überlegt. Unser quantitatives Ziel war die Qualifikation für das Finale. Dann hatten wir alle individuell qualitative Ziele ausgesprochen. Zum einen: gute Manöver. Zum andern: gutes Gewichtsmanagement. Außerdem die schnelle Umsetzung der Kommandos. Zuletzt: einmal vor dem ZSK sein. Die Linie war so kurz, es war uns lieber, einen guten Start zu fahren, als einen auf der bevorteilten Seite nicht zu gewinnen. Ich fing bei 1:30 bereits an, alle zehn Sekunden die Zeit anzusagen. Wir sind rechts gestartet. Es war ein sehr schöner Start. Inzwischen war die linke Seite bevorteilt, sodass wir nach links bis kurz vor die Layline fuhren. Wir hatten Feldkontakt. In Lee war Münster. In Luv zwei weitere Schiff. Wir schrien Münster an, die gerade dabei waren, bis zu ihrer Wende runterzuzählen an, sie sollen keine Wende fahren. Dann richteten wir uns an unser Luv Schiff: „Wende!“. Das ist Management. Und irgendwie gelang es uns vier Schiffen, unabgesprochen koordiniert gemeinsam die Wende einzuleiten. Wir fuhren um die Tonne, Fock rein, Gennaker raus, alle an ihre Position. Cati sagte den Druck an. Robert schaute nach Hinten Ausschau, denn dort gab es endlich was zu sehen, und ich schaute mir die vorderen Boote an. Wir fuhren über die rechte Seite runter, in Luv des Pulks. An der Leetonne forderte der ZSK seinen Innenraum ein. „Achtung“, wies uns Sofie an, „Jetzt!“. Wie die Räder im Uhrwerk arbeiteten wir unsere eingespielte Routine ab, fuhren mit Schwung um die Tonne, auf Catis Kommando. Nach dem Kommando übernahm ich das Wort: „Zunächst weiterfahren!“, wieder nach links. Ich merkte an, dass die Rechten wendeten, Sofie sagte eine Wende an. Wie eine Staffelübergabe setzte ein situativer Führungsstil ein. Nach der zweiten Luvtonnenumrundung fuhren wir in den Druck, wieder auf die rechte Seite. Die beiden Boote hinter uns fuhren einen Gybe Set. „Das müssen wir verteidigen.“, warf ich in den Raum. Wir diskutierten über die Optionen, über das mögliche Wegfallen des Windes, aber am Ende fuhren wir diese Halse. „Keine Sorge, wir sind schneller als die.“ Ob das stimmte? Keine Ahnung, aber das war, was wir hören mussten. Wir waren also auf Steuerbord und fuhren wieder zur Kursmittellinie. Die beiden Boote, die wir verteidigten, fuhren eine Halse auf Backbord. „Die haben Vorfahrt.“, merkte ich an. Sofie war auf Risiko eingestellt und sehr selbstbewusst. Das war gut. Sie gab das Kommando. Das Gegnerschiff schrie Raum. Cati ließ sich nicht beeindrucken und führte uns durch die Halse. Nach der Halse mussten wir aufpassen, dem Gegner auszuweichen durch ein Anluven, aber nicht zu stark, sonst fiel der Druck für den Gennaker raus. Und dann näherten wir uns dem Ziel. Wir forderten unseren Raum gegenüber den Duisburgern ein, die danach aufgeregt in der Luft rumfuchtelten, wir würden am Ziel vorbeifahren. Und tatsächlich, wir mussten dringend aus der Überlappung mit den zwei anderen Schiffen in Lee rauskommen. „Schneller, schneller“. Cati rollte mit den Augen. Ja, manchmal bin ich eine kleine Nervensäge. „Wir müssen Halsen“, sprach Sofie laut aus. „Nein, noch nicht, warte.“ Alle waren angespannt. Aber es reichte, die Überlappung löste sich. „Jetzt.“ Wir fuhren unsere Halse. Die Duisburger fuhren ihre Halse, jetzt änderte sich die Vorfahrtssituation. Und sie forderten ihren Raum ein. Aber wir konnten sie besänftigen und zum Schweigen bringen. Durch unser Manöver hatten wir die anderen beiden Schiffe abgestellt. „Konzentration jetzt!“, wies uns Sofie an. Die Jury guckte. Es wurde gefilmt und fotografiert. Wir fuhren durchs Ziel. Und wir guckten uns alle an. Wir wussten gar nicht, was wir sagen sollten. „Wir sind gerade mit einer Halse an vier Booten vorbeigekommen.“ Und dann mussten wir uns gegenseitig abklatschen. Erschöpft fuhren wir Richtung Hafen. Die Duisburger schauten uns an. „Was war das gerade?“ Todesernste Blicke. „Das war so geil, das war so mega, das war so Bombe!“ Alle lachten. Wir haben die Qualifikation nicht geschafft. Es lag zum Teil an unserer Performance, zum Teil aber auch an den Regelungen der Platzverteilung für die Qualifikation, denn sowohl ein Nordteam als auch ein Südteam haben in Mitte einen Platz ersegelt und somit dort weggenommen. Was feststeht ist, dass wir erster auf den Nach
rückerplätzen sind. Wenn also in Starnberg ein Team der Mitte unter die Top 3 fährt und damit einen Extraplatz für Mitte ersegelt, ziehen wir ins Finale. Gleichzeitig bin ich sehr optimistisch. Wir sind ein junges Team, das klassisch die Phasen der Teambildung durchlaufen ist. Wir sind in der Lage zu performen.
Anaïs Wienen