
Dava Sobel, Längengrad
Die wahre Geschichte eines einsamen Genies, welches das größte wissenschaftliche Problem seiner Zeit löste
Aus dem amerikanischen Englisch, übersetzt von Mathias Fienbork
Piper Verlag, Reihe Malik National Geographic, München, 2013
Taschenbuch, 208 Seiten für 12,99 €
ISBN 978-3-492-40530-0
E-Book, 12,99 €; E-Book-Verlag, Berlin, 2010
Den Bezug ihres Buches zur Seefahrt stellt die Autorin bereits mit der Widmung her: "Für meine Mutter, eine Vier-Sterne-Seglerin". Trotzdem spielen die Seefahrer nicht die Hauptrollen der Story. Die Protagonisten sind der penible, von seiner Idee überzeugte, beharrliche bis sture Uhrmacher John Harrison und sein Sohn William, die Antagonisten seine Gegner, Wissenschaftler nicht minder von sich überzeugt, die einer astronomischen Lösung mehr trauen als der noch völlig unbewiesenen Ganggenauigkeit einer Uhr.
Es geht um die Frage, wie die geographische Länge auf See zu bestimmen ist - und das im 18. Jahrhundert. Die Bestimmung der geographischen Breite ist damals längst bekannte Technik. Die Länge zu bestimmen, also festzustellen, auf welchem Meridian der Schiffsort liegt, gelang nur mittelbar durch die ziemlich ungenaue Koppelnavigation. Eine Schiffskatastrophe vor den Scilly Inseln, die zweitausend britischen Seeleuten das Leben kostete, nahm die britische Obrigkeit zum Anlass, die Bestimmung des Längengrades zur wissenschaftlichen Aufgabe der Nation zu machen. Das Parlament setzte einen Preis von 20.000 Pfund Sterling – gut zwei Millionen Euro heutiger Währung – für die Lösung des Problems aus. Ein leichtes wäre es, den Längengrad des Schiffsortes zu bestimmen, nähme man die Zeit des Ausgangshafens mit und vergliche sie mit der jeweiligen, am Sonnenstand messbaren Ortszeit. Jede Stunde Zeitverschiebung zum Ausgangshafen bedeuten 15 Längengrade Unterschied. Doch konnte damals noch kein Nautiker auf eine Uhr zurückgreifen, die an Bord einigermaßen korrekt arbeitete: mehrere Minuten Gangunterschied am Tag (!) waren normal.
John Harrison, Tischler aus Yorkshire und Uhrmacher-Autodidakt, machte sich an den Bau einer Uhr, die trotz Temperaturunterschieden, Schiffsbewegungen und Feuchtigkeit selbst nach einer Atlantikquerung noch die exakte Zeit des Ausgangshafens anzeigte. Die britische Längengradkommission unterstützen ihn zwar durch – modern ausgedrückt – staatliche Forschungsfördergelder, enthielt ihm aber das volle Preisgeld vor, da sie mit ihrer wissenschaftlichen Autorität eine Uhr mit der geforderten Präzision für unmöglich erklärte. Aus heutiger Sicht mag man von Ignoranz der Kommission gegenüber dieser genialen Idee sprechen. Doch damals waren tragbare Uhren von einigermaßen zuverlässiger Genauigkeit reine Sience Fiction. Als Harrison daraus Realität machte, blieb dieses Schiffschronometer für den alltäglichen Bordeinsatz immer noch unerschwinglich: sie kostete ein Fünfzigstel des Preises eines Linienschiffs.
Am Ende siegte trotz allem die Uhr. Doch der Sieg des unbeirrbaren Uhrmachers brauchte dessen ganzes Leben auf und ein gehörigen Teil des Lebens seines Sohnes dazu. Warum es selbst dann noch kein völliger Sieg wurde, wird hier nicht verraten.
Den Uhren selbst ging es genau wie dem öffentlichen Interesse an ihrem Uhrmacher John Harrison: In dem Maße wie präzise Zeitmessung und Navigation alltäglich wurden, schwand das allgemeine Interesse an ihnen. Die originalen Harrison-Uhren, alle im Eigentum der Royal Navy, blieben mehr als ein Jahrhundert lieblos abgelegt im Keller der Sternwarte zu Greenwich, bis sich ein anderer Enthusiast ihrer annahm: Lieutenant Commander Rupert T. Gould. Er restaurierte sie mit so viel fanatischer Hingabe, dass er alles andere, was ihm sonst noch lieb war, verlor.
Damit endet die Story, die keine Fiktion sondern Geschichte und viel spannender ist, als ich es in den knappen Zeilen wiedergeben kann. Dava Sobels Schreibstil, macht das Buch zudem packend. Er lässt den Leser kaum los, hält ihn mit aller Kraft der Sprache fest. In jedem Fall eine erste Empfehlung für Leser mit Beziehung zu Schiffen und Schiffsorten.
Mehr über den technisch-wissenschaftlichen Aspekt findet sich in einem Buch von Jonathan Betts „Harrison. Eine Uhr zur Bestimmung des Längengrads“, das Delius Klasing 2009 verlegte und heute leider nur noch antiquarisch zu bekommen ist (www.zvab.com). Es verdeutlicht, wie epochal diese Uhren-Entwicklungen durch John Harrison waren. Manch Uhrmacher-Technisches bleibt für den Laien allerdings auch hier noch schwer verständlich. Eine Filmreportage der BBC zeigt in bewegten Bildern, wie diese frühen Präzisionsuhren funktionieren. Ein einfaches im Film verfertigtes Modell erklärt das Prinzip dieser Uhren. Zum Schluss zeigt der Redakteur in einem aufwendigen Experiment, wie die moderne GPS-Navigation nach wie vor auf Harrison’s Innovation von damals beruht. Zu sehen ist die Reportage auf www.youtube.com „The Clock That Changed the World“. Keine Angst vor englischem Fachvokabular, der Film ist sehr anschaulich.